Veganer Fokus – Ersatzprodukte differenziert betrachten
Zwischen Sojabratling und Tempeh liegt eine Welt. In den Supermarktregalen tummeln sich heute Dutzende pflanzliche Burger, Würste, Drinks und Käsealternativen. Sie alle sollen Fleisch, Milch oder Wurst ersetzen – doch sie unterscheiden sich stark in Herstellung, Zutaten und Nährwert. Trotzdem landen sie oft in einem Topf: ultraverarbeitet und ungesund. Dieser Artikel schaut genauer hin und trennt Mythos von Fakten.
Was ist überhaupt ein Ersatzprodukt?
Im Kern sind vegane Ersatzprodukte Lebensmittel, die tierische Produkte in Geschmack, Textur oder Nährwert ersetzen sollen. Dabei reicht die Bandbreite von traditionell hergestellten Lebensmitteln wie Tofu oder Tempeh bis zu modernen, industriell gefertigten Produkten wie Erbsenprotein-Burgern oder veganem Streukäse.
Produkt | Typische Verarbeitung | NOVA-Klasse | Hauptzutaten | Bemerkung |
Tofu | Koagulation aus Sojamilch | 3 | Sojabohnen, Gerinnungsmittel | eiweißreich, schlicht |
Tempeh | Fermentation | 3 | Sojabohnen, Schimmelpilzkultur | hohe Bioverfügbarkeit |
Burger-Patty (Erbsenprotein) | Extrusion, Emulgatoren | 4 | Erbsenprotein, Öl, Aromen | strukturähnlich zu Fleisch |
Veganer Käse | Emulsion, Stabilisatoren | 4 | Kokosöl, Stärke, Aromen | meist wenig Protein, viel Fett |
Viele dieser Produkte fallen in die NOVA-Klasse 4, also „ultra-verarbeitet“. Doch das NOVA-System bewertet den Verarbeitungsgrad, nicht automatisch die Ernährungsqualität. Ein Haferdrink mit zugesetztem Vitamin B12 ist beispielsweise NOVA 4 – aber für Veganer durchaus sinnvoll.
Warum gelten viele vegane Produkte als „hochverarbeitet“?
Die Hauptgründe liegen in der industriellen Verarbeitung: Proteine werden isoliert, Öle emulgiert, Stabilisatoren und Aromen eingesetzt, um Konsistenz und Geschmack zu imitieren. Verfahren wie Extrusion (zur Herstellung faseriger Strukturen) oder Emulgation (z. B. für pflanzlichen Käse) sind typisch für diese Produkte.
Wer genauer verstehen möchte, wie diese Prozesse ablaufen und was bei der Herstellung tatsächlich passiert, findet im Artikel „Vom Korn zur Currysoße – wie Verarbeitung funktioniert und was sie wirklich verändert“ eine vertiefende Erklärung und anschauliche Beispiele dazu – der Link folgt im Beitrag.
Das macht sie technologisch anspruchsvoll, aber nicht automatisch gesundheitlich problematisch. Entscheidend bleibt das Nährwertprofil – nicht die Anzahl der Arbeitsschritte.
Was sagt die Forschung?
Die Forschung zu veganen Ersatzprodukten ist noch jung, aber spannend.
Kurzzeitstudien zeigen positive Ergebnisse:
- In der SWAP-MEAT-Studie (Stanford, 2020) ersetzten 36 Teilnehmer acht Wochen lang Fleischprodukte durch pflanzliche Alternativen. Ergebnis: LDL-Cholesterin und TMAO (ein Marker für Herzkrankheitsrisiko) sanken signifikant, bei ähnlicher Kalorienzufuhr. Studie ansehen
- Eine Studie aus Boston (2023) fand keine negativen Effekte auf Entzündungsmarker oder Blutzucker bei regelmäßigem Konsum pflanzlicher Burger.
Langzeitdaten fehlen weitgehend. Erste Beobachtungen deuten aber darauf hin, dass pflanzenbasierte Ersatzprodukte – vor allem, wenn sie reich an Eiweiß und Ballaststoffen sind – deutlich besser abschneiden als ihre tierischen Pendants, selbst wenn sie als ultraverarbeitet gelten.
Fazit: Der Tausch von Fleisch gegen pflanzliche Alternativen kann gesundheitsfördernd sein, sofern das Produkt nährstofflich solide ist.
Wie du vegane Ersatzprodukte selbst bewertest
Eine Zutatenliste kann mehr sagen als jedes Label. Ein genauer Blick auf die Zutaten verrät oft, ob ein Produkt eher einem frischen Lebensmittel ähnelt oder ob es vor allem aus industriellen Komponenten besteht. Dabei geht es nicht darum, lange Listen automatisch zu verteufeln, sondern sie zu verstehen und zu bewerten. Ein veganer Aufschnitt kann durchaus 10 Zutaten haben und dennoch hochwertig sein, wenn es sich dabei überwiegend um pflanzliche Proteine, Gewürze und natürliche Bindemittel handelt. Umgekehrt kann ein Produkt mit nur wenigen Zutaten – etwa Kokosfett und Stärke – ernährungsphysiologisch wenig bieten.
Zutaten:
- Gut: Erbsen-, Soja- oder Bohnenprotein, Rapsöl, Vollkorn, Gewürze, angereichert mit B12 oder Eisen.
- Kritisch: viel Kokosfett, Palmöl, Stärke, Aromen oder lange Listen mit Verdickungsmitteln.
Nährwerte:
- Protein ≥ 15 g/100 g: Ein solcher Gehalt zeigt, dass das Produkt eine echte Eiweißquelle ist und sich als Ersatz für Fleisch oder andere proteinreiche Lebensmittel eignet. Hochwertiges pflanzliches Protein unterstützt Muskelaufbau, Sättigung und Regeneration. Werte darunter deuten darauf hin, dass die Zusammensetzung eher auf Geschmack als auf Nährwert ausgerichtet ist.
- Gesättigte Fette < 3 g/100 g: Ein niedriger Anteil gesättigter Fettsäuren verringert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viele pflanzliche Produkte nutzen Raps- oder Sonnenblumenöl, die günstiger zusammengesetzt sind. Ein hoher Gehalt (z. B. durch Kokosfett) macht das Produkt zwar cremiger, kann aber den Cholesterinspiegel ungünstig beeinflussen.
- Salz < 1,5 g/100 g: Salz sorgt für Geschmack und Haltbarkeit, aber zu viel davon erhöht den Blutdruck. Gerade bei Aufschnitt oder Würstchen ist es sinnvoll, die Menge zu kontrollieren – ideal sind unter 1,5 g pro 100 g, noch besser unter 1 g.
- Ballaststoffe > 3 g/100 g: Ballaststoffe fördern die Verdauung, senken den Blutzuckerspiegel nach Mahlzeiten und tragen zur Sättigung bei. Viele Ersatzprodukte enthalten durch ihre Proteinbasis aus Hülsenfrüchten von Natur aus Ballaststoffe – das ist ein Pluspunkt gegenüber tierischen Varianten.
Verarbeitung:
- Fermentierte Produkte (Tempeh, Miso, fermentierter Sojajoghurt oder Kimchi) sind oft ernährungsphysiologisch wertvoller, weil durch den Fermentationsprozess neue bioaktive Substanzen entstehen. Mikroorganismen bauen schwer verdauliche Kohlenhydrate ab, erhöhen die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen und können probiotische Effekte haben, die sich positiv auf die Darmgesundheit auswirken. Auch der Geschmack verändert sich durch die Fermentation – natürliche Umami-Noten entstehen, die den Einsatz künstlicher Aromen überflüssig machen.
- Isolierte Proteinextrakte (z. B. Erbsenprotein-Isolat oder Sojaprotein-Konzentrat) sind technologische Lebensmittel, die aus dem natürlichen Rohstoff durch Extraktion und Trocknung gewonnen werden. Sie liefern konzentriertes Eiweiß und ermöglichen die Textur von Fleischimitaten. Ernährungsphysiologisch sind sie neutral: Sie enthalten hochwertiges Protein, aber weniger sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe und Vitamine als die ursprüngliche Bohne oder Linse. Daher eignen sie sich gut als Zutat in proteinreichen Produkten, sollten jedoch nicht als alleinige Proteinquelle dienen, sondern Teil einer vielfältigen Ernährung sein.
Beispiele:
Zwei vegane Bratwürste im Vergleich:
- A: Erbsenprotein, Rapsöl, Gewürze – solide Zusammensetzung.
- B: Stärke, Kokosfett, Aroma, Verdickungsmittel – stärker verarbeitet, weniger Nährwert.
Ein weiteres Beispiel: Vegane Aufschnitte. Manche bestehen überwiegend aus Erbsenprotein, Wasser und Rapsöl und liefern rund 20 g Eiweiß pro 100 g. Andere dagegen enthalten hauptsächlich Stärke und Kokosfett – sie ähneln eher pflanzlichen Fetten als Proteinquellen.
Auch beim Käseersatz lohnt sich der Vergleich: Produkte auf Basis von Nüssen oder fermentierten Sojabohnen enthalten oft mehr Mikronährstoffe und weniger gesättigte Fette als Varianten, die hauptsächlich aus gehärtetem Öl und Stärke bestehen.
Selbst bei pflanzlichen Drinks zeigen sich Unterschiede. Ein ungesüßter Sojadrink mit Calcium und B12 liefert hochwertiges Protein und ist ernährungsphysiologisch sinnvoll. Ein stark gesüßter Mandeldrink mit Aromen und wenig Mandeln dagegen wirkt mehr wie ein Dessertgetränk als eine Milchalternative.
Beide Bratwurst-Varianten sind formal UPF, aber A ist nährstofflich deutlich sinnvoller. Das Gleiche gilt für alle Kategorien: Die Zutaten und das Nährwertprofil entscheiden mehr als der bloße Verarbeitungsgrad.
Wann Ersatzprodukte sinnvoll sind – und wann nicht
Sinnvoll:
- Für den Einstieg in eine pflanzliche Ernährung, wenn der Umstieg von Fleisch auf Pflanzenkost erleichtert werden soll. Besonders für Menschen, die noch stark an gewohnte Geschmacksprofile gebunden sind, bieten Ersatzprodukte eine Brücke.
- Wenn du deine Proteinzufuhr sichern willst und keine Zeit hast, frische Hülsenfrüchte oder Linsen zu kochen. Hier können proteinreiche Burger oder Aufschnitte helfen, bis Routinen mit natürlichen Lebensmitteln etabliert sind.
- In sozialen Situationen (Grillabend, Kantine), wenn Akzeptanz und einfache Handhabung wichtiger sind als perfekte Nährstoffbilanz.
- Als Übergangslösung auf dem Weg zu mehr Vollwertkost – etwa, um die Ernährung schrittweise umzustellen und neue Rezepte zu entdecken.
Weniger sinnvoll:
- Wenn sie täglich den Hauptproteinlieferanten ersetzen sollen, denn dadurch fehlen sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe aus unverarbeiteten Hülsenfrüchten, Nüssen und Vollkorn.
- Wenn der Fokus auf stark fett- und salzreichen Varianten liegt. Der häufige Einsatz von Kokosfett und Aromen steigert zwar den Geschmack, kann aber langfristig Herz-Kreislauf-Risiken erhöhen.
- Wenn sie den Konsum unverarbeiteter Lebensmittel verdrängen und der Speiseplan dadurch einseitig wird.
Alternativen:
- Selbstgemachte Alternativen: Linsen- oder Bohnenpatties, Falafel, Nussaufstriche oder Seitan aus Weizengluten – alle liefern reichlich Protein und Ballaststoffe bei deutlich geringerer industrieller Verarbeitung.
- Traditionelle Produkte: Tofu, Tempeh oder fermentierte Sojaprodukte sind leicht verfügbar und vielseitig einsetzbar.
- Proteinreiche Grundzutaten: Kichererbsen, Linsen, Edamame, Hafer und Quinoa können als Basis dienen, um eigene Mahlzeiten ohne Fertigprodukte zu gestalten.
Im besten Fall sind vegane Ersatzprodukte Teil einer abwechslungsreichen, pflanzlichen Ernährung, nicht deren Fundament.
- Markt und Politik: Das Spiel um die Deutungshoheit
Der Boom pflanzlicher Produkte ist wirtschaftlich relevant – und politisch umkämpft. Die EU schreibt vor, dass Bezeichnungen wie „Milch“ oder „Käse“ Tierprodukten vorbehalten sind. Frankreich versuchte 2025, auch Begriffe wie „Steak“ oder „Burger“ für pflanzliche Produkte zu verbieten – das Verbot wurde jedoch aufgehoben. Das zeigt: Die Auseinandersetzung ist weniger wissenschaftlich als wirtschaftlich motiviert.
Parallel dazu wird der Vorwurf des „Ultra-Processed“ häufig genutzt, um pflanzliche Produkte in Misskredit zu bringen. Dabei werden gesundheitliche Risiken verallgemeinert, während positive Effekte (z. B. weniger Treibhausgase, kein Cholesterin, weniger gesättigte Fette) untergehen.
Wer sich tiefer für die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe interessiert, findet im Artikel „Wer entscheidet, was auf unseren Tellern liegt? Politik, Lobby und das Spiel um Worte und unsere Ernährung“ eine vertiefende Analyse dazu
Fazit
Verarbeitung ist kein Feind. Sie ist ein Werkzeug – mal klug, mal übertrieben. Bei veganen Ersatzprodukten entscheidet nicht der Prozess, sondern die Kombination aus Zutaten, Nährwert und Häufigkeit des Konsums.
Ein Tofu oder Tempeh bleibt eine wertvolle Eiweißquelle. Ein Burger aus Erbsenprotein kann eine sinnvolle Fleischalternative sein. Und selbst ein veganer Käse kann Platz haben – wenn er genüsslich, nicht täglich konsumiert wird.
Die beste Regel: Lies das Etikett, nicht die Schlagzeile.
Praktisches Tool: Open Food Facts
Für die schnelle Produktbewertung im Alltag empfehlen wir Open Food Facts (de.openfoodfacts.org). Die offene, gemeinnützige Datenbank bietet eine Barcode‑Suche und zeigt u. a. Zutatenlisten, Nährwerte pro 100 g, Allergene, oft NOVA‑Einstufung und Nutri‑Score sowie Hinweise zu Zusatzstoffen. Über die kostenlose App kannst du Produkte scannen, vergleichen und Favoriten speichern.
So nutzt du es konkret:
-
Barcode scannen → Zutaten- und Nährwertblock prüfen (Protein, gesättigte Fette, Salz, Ballaststoffe).
-
NOVA/Nutri‑Score als Orientierung, nicht als Urteil verwenden – mit deinen Kriterien aus der Checkliste abgleichen.
-
Bei Lücken (fehlende Angaben) kannst du Fotos hochladen und Daten kollaborativ ergänzen – die Community verbessert kontinuierlich die Qualität.
Hinweis: Da es sich um ein Community‑Projekt handelt, können Einträge gelegentlich unvollständig sein. Prüfe im Zweifel das Originaletikett und nutze Open Food Facts als hilfreiche, aber nicht alleinige Entscheidungsgrundlage.
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